Interview mit Springreiterin zur sexualisierten Gewalt im Pferdesport
Warendorf (fn-press). Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) richtet einen Betroffenenrat zur Prävention, Aufarbeitung und Intervention von sexualisierter Gewalt ein. Noch bis zum 15. April können Betroffene sich melden, um sich in dieses ehrenamtliche Gremium einzubringen. Ihre Mitarbeit angeboten hat bereits Lisa Marie Kreutz. Die Springreiterin hat die Kampagne #uyvequestrian ins Leben gerufen. Mit dem Aufruf „use your voice“ (uyv) – zu Deutsch „Benutze deine Stimme“ - setzt sie sich gegen sexuelle Belästigung von Pferdeportler*innen und für einen respektvollen Umgang im Pferdesport ganz generell ein.
FN-aktuell hat mit Lisa Marie Kreutz über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und ihre Motivation, im FN-Betroffenenrat mitzuarbeiten gesprochen. Ausführliche Informationen zum Betroffenenrat und das Formular zur vertraulich behandelten Interessensbekundung finden sich auf der FN-Homepage.
FN-aktuell: Sie engagieren sich seit über einem Jahr gegen sexualisierte Gewalt im Pferdesport. Wie kam es dazu? Was sind Ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt?
Lisa Marie Kreutz: "Ich habe angefangen mich gegen sexualisierte Gewalt einzusetzen, weil ich wütend war. Als ich 2019 die Social Media-Aktion „Use your voice equestrian“ gestartet habe, wurde das Thema sexualisierte Gewalt im Pferdesport nur sehr selten öffentlich behandelt, weshalb dahingehend allgemein auch nur ein sehr geringes sensibilisiertes Bewusstsein vorhanden war. Ich habe miterlebt, wie Betroffenen keinen Glauben geschenkt und über Täter hinweggesehen wurde. Ich persönlich wollte nicht länger wegsehen und anstattdessen etwas tun, dass sowohl das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein stärkt, aber vor allem auch Betroffene ermutigt und ihnen im besten Fall sogar hilft, mit ihrer eigenen Situation bestmöglich umgehen zu können.
Durch meine eigene Betroffenheit weiß ich, wie grausam die Auswirkungen solcher Erlebnisse sein können. Ich weiß wie es ist, wenn man noch lange Zeit nach der Tat, die Berührungen spüren kann und sich aus der eigenen Haut schälen will. Wie es ist, wenn einenm die Gedanken daran verfolgen und den Schlaf rauben.
Ich hatte das große Glück, die passende Unterstützung im Hintergrund zu haben und alles Eerlebte sehr gut verarbeiten zu können. Allerdings war mir auch bewusst, dass andere dieses Glück nicht haben und vielleicht sogar überhaupt nicht darüber sprechen können.
Dagegen wollte ich etwas tun. Ich wollte zeigen, dass niemand mit derartigen Erlebnissen allein ist und das Thema ein Stück weit enttabuisieren.
Immerhin sind wir Sportler der einzigen olympischen Sportart, in der Männer und Frauen gleichberechtigt gegeneinander antreten. Bei uns darf dieses Thema einfach nicht ignoriert werden. Ignoranz ist eine Entscheidung, keine Lösung."
FN-aktuell: Die FN richtet gerade einen Betroffenenrat ein - ein ehrenamtliches Gremium, in dem Betroffene ihre Expertise und Sichtweise in die Prävention, Aufarbeitung und Intervention sexualisierter Gewalt einbringen können. Sie haben Ihre Mitarbeit im FN-Betroffenenrat angeboten. Was möchten Sie erreichen?
Lisa Marie Kreutz: "In der Öffentlichkeit konnte ich bisher gut auf das Thema aufmerksam machen und bereits vielen Betroffenen weiterhelfen. Der Betroffenenrat ist in meinen Augen das nächste Level. Er gibt uns die großartige Chance, hinter den Kulissen und an den Wurzeln der Thematik zu arbeiten. Mit meiner Mitarbeit dort möchte ich zu Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen beitragen, aber auch weitere Schritte bezüglich der Hilfe und dem Umgang mit Betroffenen besprechen.
Die FN ist der erste deutsche Sportverband, der diesen wichtigen Schritt geht und ein derartiges Gremium ins Leben ruft. Ich möchte einfach die Möglichkeit nutzen, etwas Wichtiges bewegen zu können und unseren Sport ein kleines bisschen sicherer zu machen."
FN-aktuell: Noch bis zum 15. April können Betroffene ihre Mitarbeit im FN-Betroffenenrat anbieten. Nicht jeder geht so selbstbewusst oder öffentlich wie Sie mit dem Thema um. Wie oder womit würden Sie Betroffene ermutigen, sich in den FN-Betroffenenrat einzubringen?
Lisa Marie Kreutz: "Es ist auf keinen Fall einfach, so öffentlich mit den eigenen Erlebnissen und der Thematik umzugehen. Von daher finde ich es wichtig zu sagen, dass die Arbeit beim Betroffenenrat auch anonym stattfinden kann. Darüber hinaus kann es auch helfen mit Menschen zu arbeiten, die ähnliche Dinge erlebt haben und vor allem sollte einem bewusst sein, dass die Arbeit in dem Gremium langfristig vielen weiteren hilft, die unter sexualisierter Gewalt gelitten haben. Wir haben die Möglichkeit zu helfen und zu verändern. Das ist eine riesige Chance, die wir nutzen sollten. Es ist für viele sicherlich ein großer Schritt, die eigene Expertise einzubringen und sich wieder mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aber an der Stelle kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich lohnt. Sowohl für den eigenen Umgang mit dem Eerlebten, als auch für all die anderen, denen man damit helfen kann."
Das Interview führte Adelheid Borchardt.
FN-Betroffenenrat
Mit einem Betroffenenrat will die FN ihre Maßnahmen zur Prävention, Aufarbeitung und Intervention von sexualisierter Gewalt ergänzen. Bei der Einrichtung dieses ehrenamtlichen Gremiums hat die FN sich Hilfe bei dem international agierenden Verein gegen sexuellen Kindesmissbrauch Innocence in Danger e.V. (IID) geholt. Der Verein hat bereits Erfahrung mit der Einrichtung eines Betroffenenrates. Wer im Betroffenenrat mitarbeiten möchte, kann sein Interesse bis zum 15.4.2021 bei Innocence in Danger bekunden. Ausführliche Informationen zum Betroffenenrat und das Formular zur vertraulich behandelten Interessensbekundung finden sich auf der FN-Homepage.
Gemeinsam mit dem DOSB und seinen Mitgliedsorganisationen setzt sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) gegen sexualisierte Gewalt im Sport ein. Die körperliche und emotionale Nähe, die im Sport entstehen kann und in keinem anderen Zusammenhang ähnlichen Stellenwert findet, birgt Gefahren sexualisierter Übergriffe. Eine Kultur der Aufmerksamkeit und des Handelns Verantwortlicher muss dazu beitragen, Betroffene zum Reden zu ermutigen, potentielle Täter abzuschrecken und ein Klima zu schaffen, das Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Sport vor sexualisierter Gewalt schützt. In den letzten zehn Jahren hat die FN eine Reihe von Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt im Pferdesport ergriffen, beginnend bei der Verankerung von Präventionsmaßnahmen in den Verbandsstrukturen bis hin zu Hilfsangeboten für Betroffene.